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Flora Oberländer

Flora Oberländer

Am 29. August 1900 wird Flora Oberländer in Berlin als zweites Kind von Ludwig und Emma Oberländer (geb. Krämer, 20.10.1861 in Wien) geboren. Neben ihr gibt es in der Familie noch den älteren Bruder Fritz (* 27.06.1898 in Berlin), der 1944 in Auschwitz ermordet wurde, und den jüngeren Bruder Heinz (* 07.10.1906 in Berlin), der im August 1942 ebenfalls in Riga ums Leben kam. Der Vater Ludwig Oberländer verstarb bereits in den 1920er Jahren.

Flora Oberländer studierte zwischen Oktober 1925 und März 1928 an der Opernchorschule der Staatlichen akademischen Hochschule für Musik in Berlin. Anschließend arbeitete sie als Sängerin und Musiklehrerin. In den Jahren 1927 und 1928 hatte sie zudem Engagements als Sängerin im Chor (Alt-Stimme) der Bayreuther Festspiele.

Nach dem Machtantritt der Nazis wurde Flora Oberländer als „nichtarisches“ Mitglied zunächst in der Reichsmusikkammer registriert. Am 3. September 1935 wurde sie dann aufgrund des Paragraphen 10 der „Ersten Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes“ aus dieser Berufsorganisation ausgeschlossen.

Flora Oberländer war unverheiratet und lebte mit ihrer Mutter und ihrem Bruder Heinz zusammen. 1934 zog die gerade verwitwete Tante Cäcilie Oberländer (geb. Sorauer, geboren 12.07.1863 in Bujakow) zu ihnen in die Holsteinische Straße 20, nachdem ihr Mann, der in der Filmbranche tätig gewesen ist, starb. Die gemeinsame Tochter Alice Weissenberg, geb. Oberländer, verstarb später am 29. April 1942 in Berlin.

Ab 1936 lebten alle vier in der Mackensenstraße 5, der heutigen Else-Lasker-Schüler-Straße 5, in Berlin und waren auch zum Zeitpunkt der Volkszählung 1939 hier gemeldet.

Nach dem Berufsverbot musste Flora Oberländer ihren Lebensunterhalt zuletzt als zwangsverpflichtete Arbeiterin bei der Firma AEG, Oberschöneweide, sowie bei der AEG Fernkabel- und Apparatefabrik, Ohmstraße, für einen Wochenlohn in Höhe von 18,-- RM verdienen.

Erst nach der Verhaftung ihrer Großtante Cäcilie wurde Flora Oberländer am 26. Oktober 1942 mit dem Transport Nummer 22 (der 8. und letzte Deportationszug aus Berlin nach Riga) gemeinsam mit weiteren 797 Menschen deportiert. Alle Transportteilnehmer*innen wurden nach der Ankunft am 29. Oktober 1942 in den Wäldern von Riga ermordet.

Der in Berlin zuständige Gerichtsvollzieher verzeichnete in seiner Inventarbewertung vom 9. April 1943: „Nichts hinterlassen.“

Fritz Oberländer wohnte mit seiner fünfköpfigen Familie am Hohenzollerndamm 4 parterre rechts. Im Adressbuch 1937 war er als „kaufmännischer Angestellter“ verzeichnet, in den Jahren danach als „Kaufmann“. Er verfügte über ein kleines Konto bei der Deutschen Bank.
Seine 16 Jahre jüngere Frau Ilse Oberländer (geb. Schnur, 21.06.1914 in Berlin) stammte aus einer Familie, die es aus bescheidenen Anfängen zu einigem Wohlstand gebracht hatte. Ihre Großeltern waren aus dem litauischen Wilna (Vilnius) nach Berlin gekommen und hatten sich in der Tabak- und Zigarettenbranche hochgearbeitet.

Als die Familie Oberländer im Herbst 1942 zwangsweise aus ihrer Wohnung geholt wurden, hatten sie durch die ausgrenzende Gesetzgebung der Nationalsozialisten bereits einen sozialen Abstieg hinnehmen müssen. Fritz war Zwangsarbeiter zu einem Stundenlohn von 72 Reichspfennigen in Reinickendorf. Die Familie musste in zwei Zimmern ohne Küche zusammenrücken. Das geht aus der Vermögensaufstellung hervor, einem vielseitigen Fragebogen, den jedes Familienmitglied abgeben musste – auch die Kinder. An Möbeln waren noch vorhanden: vier Betten mit Matratzen und Federbetten, Tische und Stühle, eine Couch und zwei Sessel, ein Bücherschrank und ein Schreibtisch. Aus der Existenz eines Notenschranks lässt sich schließen, dass in der Familie musiziert wurde. Zumindest Fritz spielte Geige. Und es gab eine Nähmaschine: Ilse nähte oder musste nähen, um die Kinder zu bekleiden.

Am 2. November 1942 wollte die Geheime Staatspolizei (Gestapo) alle fünf abholen, um sie zu „evakuieren“, wie die Deportation in der Sprache des Dritten Reiches verschleiernd genannt wurde. In dieser Situation versuchte Ilse Oberländer sich das Leben zu nehmen, indem sie sich aus einem Fenster stürzte. Sie wurde ins Jüdische Krankenhaus gebracht. Dort versuchten die Ärzte vergeblich ihr Leben zu retten. Sie starb am 3. November 1942 und wurde auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee bestattet.

Die Kinder Edith (* 07.11.1936 in Berlin), Mathel (* 17.02.1939 in Berlin) und Berl Oberländer während des Zweiten Weltkriegs (* 08.09.1940 in Berlin) geboren, sind alle in den Jahren der Verfolgung zur Welt gekommen und haben eine freie, unbeschwerte Zeit nicht kennen gelernt.

Durch den Suizid von Ilse Oberländer wurde die Deportation verschoben. Die Gestapo beschlagnahmte die Wohnung und versiegelte sie. Die Kinder kamen in das „Baruch Auerbachsche Waisenhaus“ in der Schönhauser Allee 162, wo sie von der Jüdischen Gemeinde versorgt wurden. Alle drei sind dann am 16. Dezember 1942 zusammen mit ihrem Vater Fritz Oberländer von Berlin nach Theresienstadt deportiert worden. 22 Monate, fast zwei Jahre, gelang es Fritz Oberländer und seinen Kindern weiterzuleben, sich zu behaupten. Am 12. Oktober 1944 wurden sie von Theresienstadt nach Auschwitz weiterdeportiert, wo sie ermordet worden sind.

In der Else-Lasker-Schüler-Straße 5 (früher Mackensenstraße 5) in Schöneberg wurden 2011 auf Wunsch von Hanni Lévy, geb. Weissenberg, Stolpersteine zum Gedenken an ihre Großmutter Cäcilie Oberländer sowie an deren Schwägerin Emma Oberländer und ihre Kinder Flora und Heinz verlegt.

Für Fritz Oberländer und seine fünfköpfige Familie wurden am Hohenzollerndamm 4 im Mai 2013 separat Stolpersteine verlegt.